Zeitzeugen: Dr. Silke Funke-Johannsen erzählt von der Remberti-Apotheke aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. 2013 hat die Remberti-Apotheke ihr 150-jähriges Bestehen feiern können.
Die längste Zeit ihres Daseins befand sich die Remberti-Apotheke in der Rembertistraße 15: von 1863 bis zu ihrer Zerstörung durch Brandbomben im Jahr 1944. Heute steht an der Stelle des schönen Hauses mit dem charakteristischen Erkervorbau ein unscheinbares Gebäude mit zehn Wohnungen und rückwärtig angebauten Garagen. Das Haus Nr. 15 war 1843 erbaut worden. Zwanzig Jahre später kaufte es der erste Besitzer der Remberti-Apotheke, der Apotheker Philipp Cornelius Engelken, von der Witwe des Kaufmanns Ludwig August Theobald. Im Hochparterre richtete er die Räumlichkeiten für seine Apotheke ein, in den beiden Stockwerken darüber befand sich die Privatwohnung. Mein Großvater, der Apotheker Dr. Diedrich Johannsen aus Esens, erwarb 1915 die Remberti-Apotheke mit Haus und Grundstück. Schon bald baute er einen Fabrikationsbetrieb im Hinterhaus auf. Zunächst begann er mit der Herstellung von Lofoten-dampfmedizinallebertranemulsion, dann folgten eine Produktreihe von Arzneimitteln unter dem geschützten Warenzeichen Dijosan® und in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen die sogenannten „Bremer Spezialitäten“. Von einigen Begebenheiten, die sich vor dem Zweiten Weltkrieg in Apotheke und Fabrik ereigneten, möchte ich im Folgenden berichten.
In der Apotheke waren damals ein Apotheker und zwei Helferinnen beschäftigt. In der Fabrik arbeiteten ein Drageur, zwei Laboranten und vier Frauen, die Arzneimittel verpackten. Außerdem gab es noch einen Fahrer. Eines Tages bewiesen zwei Mitarbeiter große Geistesgegenwart. Die Familie saß zusammen beim Mittagessen, als draußen ein lautes Hupen ertönte, das nicht aufhören wollte. Was war passiert? In der Fabrik hatte sich eine Flasche mit Äther, die in der Sonne stand, entzündet. Glücklicherweise reagierte der Laborant schnell und warf das Gefäß mit brennendem Inhalt durch das geschlossene Fenster. Die Flasche durchschlug das Verdeck des unter dem Fenster geparkten Lieferwagens, stürzte auf die Hupe und löste brennend den Hubton aus. Der zufällig anwesende Fahrer konnte das daneben stehende Familienauto noch rechtzeitig wegschieben, sodass wenigstens dieser Wagen vom Feuer verschont blieb.
In der Fabrik wurden nicht nur Arzneimittel hergestellt, sondern auch Wasserspielzeuge, die Diedrich Johannsen ersonnen hatte. Dies waren Schiffchen und Schildkröten aus Zelluloid mit einer Tablette aus Kampfer als Antrieb. Allerdings war diesen Produkten kein langfristiger Erfolg beschieden. Die Fabrikationsräume besaßen für Johannsens sechs Sprösslinge und die Kinder der Nachbarschaft eine große Anziehungskraft. Es war für sie nicht nur interessant, den Menschen und Maschinen bei der Arbeit zuzusehen, sondern sie konnten auch mit etwas Glück Lakritzreste ergattern, die beim Schneiden der Salmiakpastillen anfielen. Doch barg der Aufenthalt in der Fabrik auch Gefahren, wie ein Unglücksfall zeigt. So büßte Sohn Gustav als Zwölfjähriger einen Teil seines linken Ringfingers ein, als er die Funktionsweise einer Knetmaschine zur Salbenbereitung untersuchen wollte.
In den 20er Jahren besuchte Diedrich Johannsen mit seiner Frau Hedwig die Vorstellung eines Hypnotiseurs im Hillmann Hotel. Nachdem der Vorhang gefallen war, fragte Johannsen begeistert den Hypnotiseur, ob er ihn zur Ausübung dieser Kunst für befähigt hielte. Der Meister attestierte ihm Talent und erklärte, er könne alle Menschen hypnotisieren, nur nicht seine Ehefrau, weil die ihn zu gut kennen würde. Nach diesem Erlebnis wandte Dr. Johannsen gelegentlich seine neu entdeckte Fähigkeit in der Apotheke an. Es wird berichtet, dass er einer Sängerin vom Theater am Bischofstor immer wieder helfen konnte. Weil die Künstlerin ohne ihre Regel schöner zu singen vermochte, wurde diese per Hypnose in die auftrittsfreie Zeit verschoben. Auch Kundenängste, den Remberti-Tunnel zu passieren, konnten kuriert werden. Doch Johannsens Hypnoseaktivitäten nahmen mit einem spektakulären Fall ein plötzliches Ende. Ein Kunde vom Ostertorsteinweg erschien zum wiederholten Male klagend und humpelnd an zwei Krücken in der Apotheke. Johannsen versuchte nun, weil bisher kein Arzt und kein Medikament helfen konnten, den Kranken mit Hypnose von seinem Leiden zu befreien und trug ihm auf, Walzer zu tanzen. Und der eben noch Humpelnde konnte tanzen. Nachdem der Kunde – aus der Hypnose erwacht – mit leichtem Schritt ohne Krücken die Apotheke wieder verlassen hatte, sprach sich diese Heilung wie ein Lauffeuer herum und kam auch der Ärzteschaft zu Ohren. Diese fürchtete um ihr „Heilungsmonopol“, protestierte auf das Heftigste und Johannsen war gezwungen, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Nie wieder soll er hypnotisiert haben.
Dr. Silke Funke-Johannsen
Bremen, im Mai 2011