Zeitzeugen: Hanna Rath, geborene Schomburg, wurde 1916 geboren. Bis zu ihrem 14. Lebensjahr wohnte sie in Königslutter und zog 1930 mit ihren Eltern nach Bremen. Ihr Vater, Pastor Walther Schomburg, bekam damals eine der beiden Pfarrstellen an der St. Remberti Kirche.

Aus der Anfangszeit:
„Damals sah es hier ja noch ganz anders aus. Es war ein gemütliches Leben; das Umfeld war gemütlich. Besonders das Stift, da hatte man immer so das Gefühl, das sind alles ganz alte Leute. Heute wohnt ja die Allgemeinheit da. Aber damals waren es tatsächlich nur Alte und Kranke, die da wohnten.Ich war damals in der Obertertia, und ging in die Kleine Helle zur Schule. Erst fand ich den Weg entsetzlich weit, aber im Laufe der Zeit hat man sich so gewöhnt. Wir kamen ja von Königslutter, also aus einer Kleinstadt. Da lag alles viel näher beieinander. Da mussten wir erstmal die Stadt kennenlernen.
Ich hatte eine Schwester, die war 5 Jahre jünger als ich, die konnte sich überhaupt nicht an die Stadt gewöhnen. Frau Direktor Plate, die war ja eine 100-prozentige Respektsperson, und das konnte meine Schwester gar nicht so richtig begreifen, weil die immer noch so mehr oder weniger mit jedem auf Du und Du stand…Meine Eltern gaben sich Mühe, hier richtig heimisch zu werden. Besonders für meine Mutter war das alles sehr überraschend, für sie war es noch besonders schwierig. Auf dem Lande, also in Königslutter, ist die Pastorenfrau sozusagen der weibliche Pastor. Sie leitete die Frauenhilfe, Ärzte und Pastor sind dort sozusagen auf gleicher Ebene. Sie konnte zuerst so gar nicht begreifen, dass sie nun eigentlich gar nicht mehr dazu gehörte. Für sie war der Beruf ihres Mannes sehr wichtig. Und man betrachtete sie auch als Frau Pastor – und hier war das nun gar nicht so. Jedenfalls stand das überhaupt nicht im Mittelpunkt. Da musste sie sich selber schon ihren Kreis schaffen.“

Aus der Kriegszeit:
„Als die Glocke fiel, gab es einen großen Knall. Zu der Zeit war mein Vater ausgerechnet in der Kirche, die stand damals noch. Da hatten sich verschiedene Menschen angesammelt, die dort Schutz suchten. Als der Alarm vorüber war, da strömten sie alle aus der Kirche an unserem Fenster vorbei und schrieen alle durcheinander: „Wir sind gerade noch mal rausgekommen und wollen ganz schnell nach Hause. Der Pastor ist da drin, und der kommt auch nicht mehr raus!“ Damit ließen sie uns schreiend und brüllend stehen, teilweise jauchzend – weil sie ja nun noch mal davon gekommen waren. Mein Vater wollte natürlich als Letzter bleiben. „Der Pastor ist noch drin, der kommt nicht mehr raus!“ Das war sehr tröstlich…
Ich war gerade angekommen aus Oberschlesien, war nachts durch große Strapazen und Mühen mit den verschiedensten Wagen, unter anderem sogar mit Ackergäulen angekommen. Ich ging also nicht in irgendeinen Schutzkeller. Ich sagte: „Mir ist das also ganz egal; ich bin jetzt erstmal zu Hause. Geht ihr, ich kann einfach nicht mehr.“ Trotz großen Protestes sind sie dann in den Luftschutzkeller gegangen. Und ich blieb oben liegen, mir war tatsächlich alles egal. Wenn man diese Tour und diese Flucht überstanden hatte, dann sagte man sich „Gott sei Dank, so weit bin ich nun erstmal – das hab‘ ich nun geschafft. Es wird mir schon nichts passieren.“
Für Vater war es selbstverständlich, dass er den Schutz übernahm für die, die in der Kirche Schutz gesucht haben.

Am Wall war ein Luftschutzkeller. Später bin ich ein paar Mal in diesem offiziellen Luftschutzkeller gewesen, fand es aber so grässlich, dass ich mich lieber einfach in mein Zimmer legte und es dem lieben Gott überließ. Die Menschen hatten wer weiß wie viele Kleider übereinander an und man saß angsterfüllt da.

Man hatte immer etwa eine oder zwei Stunde Zeit, um etwas zu erledigen. Einmal war ich mit meiner zweijährigen Nichte unterwegs, damit die auch mal an die Luft kam. Da patrouillierten die Engländer durch die Straßen, die sahen mich mit dem kleinen Gör fahren. Sie hielten vor uns und ich dachte schon: „Gott, es ist vielleicht schon zu spät! Was wird jetzt passieren? Hoffentlich kommste noch heil nach Hause mit der Lütjen!“ Aber das war eine ganz neue Erfahrung: Die hielten neben mir und ich war da mit dem Kind und ich erwartete: „Dawai, dawai! Schnell, schnell! Mach‘, dass du nach Hause kommst!“ oder so. Aber die packten eine Tafel Schokolade aus und schenkten sie uns! Da war man ganz baff! Freundlich lächelnd übergaben sie das und zogen dann wieder ab. Das konnte man gar nicht begreifen! Bis dahin hatte es ja immer nur geheißen, das sind die Feinde. Da waren die Feinde ganz liebenswürdige Menschen, die uns was geschenkt haben, was man überhaupt gar nicht kannte.

Unser Haus hatte einiges abbekommen im Krieg, verschiedene Einschläge, aber das war nicht so gravierend. Die Küche war ziemlich verwüstet. Ein älteres Ehepaar war bei uns einquartiert, die hatten das Vorderzimmer, das direkt zur Kirche hinging, als Wohnraum zugewiesen bekommen. Das war für uns direkt ein Segen, denn das war ein praktischer Handwerker. Der baute in unserm kleinen Vorgarten eine Feuerstelle, so dass man etwas kochen konnte.“

Dieser Beitrag wurde erstellt von einer Arbeitsgruppe der Rembertigemeinde um den Pastor Dirk von Jutrczenka.