Zeitzeugen: Günter Lindemann (geboren 1942 in Bremen), arbeitete in einem Molkereigeschäft im Umfeld des Rembertiviertels.

Anno 1903 zog der älteste Sohn der Familie Lindemann aus Rautendorf nach Bremen. In der Busestraße 28 ließ er ein Wohnhaus mit Kuhstall und einem Milchgeschäft bauen. 1908 wurde hier auch der Vater von Günter Lindemann geboren. Über den Verkauf hochwertiger Vorzugsmilch etablierte die Familie Lindemann ein Geschäft für Molkereiprodukte für das Rembertiviertel. Dieses Geschäft betrieb die Familie seit 1934 erst in der Gertrudenstraße, später in der Ostendorpstraße und seit 1936 in einem eigenen Haus in der Bohnenstraße 11. Das Ladenlokal in der Bohnenstraße war für die besonderen Bedürfnisse eines Molkereigeschäftes eigens hergerichtet worden: Es besaß einen der damals sehr seltenen Kühlräume, eine spezielle Zapfanlage für Milch und der gesamte Geschäftsraum wurde aus Hygienegründen mit Kacheln versehen. Verkauft wurden: Milch, Käse, Butter lose im Block und Sahne sogar in geschlagener Form u.v.m.: Der Bedarf war so groß, dass auch Sonntags von 8.00-10.00 Uhr geöffnet wurde. Auch gab es Lieferungen frei Haus, genannt „Milchtouren“, bei denen Günter Lindemann als Kind ausgeholfen hat, daran schloss sich dann später eine Lehre als Einzelhandelskaufmann an.

Um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen wurde die Stadtgemeinde seit den 30er Jahren in sogenannte „Milchbezirke“ eingeteilt. Die Familie Lindemann sicherte den Verbrauch des Rembertiviertels von ca. 2000 Haushalten, gewerblichen Betrieben, Büros usw. mit ca. 1000 Litern Milch täglich. Die Bedeutung dieser Molkereigeschäfte war so groß, dass deren Betreiber nicht oder erst sehr spät in den Krieg eingezogen wurden.

Der Bau der Rembertiringes kam für die Familie Lindemann unvermittelt. Eine öffentliche Diskussion um den Abriss des Rembertiviertels und den Bau des Rembertiringes hatte im Vorfeld nicht stattgefunden. Der Abriss wurde auch darum sehr bedauert weil das Rembertiviertel den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überstanden hatte. Bis auf eine Hälfte der Straße Auf den Häfen, die Albrechtstraße und die Bischofstraße waren nur einzelne Häuser ausgebrannt. Im Gegensatz zu dem sogenannten „Trassenkampf“ um die Mozarttrasse ist es beim Bau des Rembertiringes zu keinem nennenswerten Widerstand gekommen. Einzig der Klempner Herr Rennert hat sich bis zuletzt gewehrt. In seinem Haus in der Wilhelmstraße, in dem auch sein Familienbetrieb ansässig war, hat er sich an die Heizung gekettet und musste mit Gewalt abgeführt werden.

Nach der Fertigstellung des Rembertiringes 1967 waren viele der Kunden des Molkereigeschäftes Lindemann fortgezogen. Die kleinen Handwerksbetriebe haben bei der Gelegenheit gleich ganz aufgehört. Der soziale Zusammenhalt war perdu. Man hat sich mal getroffen, aber die Beziehungen versickerten.

Mit dem Aufkommen des ersten Supermarktes im Ostertor wurde das Molkereigeschäft der Familie Lindemann vollends unrentabel, so dass 1969 der Betrieb eingestellt worden ist.

Ernst Glässel und Eduard Grunow, nach denen die größten Durchfahrtsstraßen des Rembertiringes benannt wurden, waren den Lindemanns gänzlich unbekannt – die Straßenschilder waren plötzlich einfach da.

Seit August 2005 ist das ehemalige Molkereigeschäft von dem Enkel Marcus Lindemann durch den An- und Verkauf von besonderem alten Porzellan (Antik Kontor Bremen) wieder neu belebt worden .

Für die Zukunft wünscht sich die Familie, dass sich das ehemalige Rembertiviertel wieder mit Leben füllt, kleine Häuser, kleine Geschäfte und eine Anbindung ans Ostertor.

Erinnerungsskizze: Das Rembertiviertel in den 50er Jahren
Günter Lindemann: Erinnerungsskizze: Das Rembertiviertel in den 50er Jahren, Quelle: G.Lindemann