Brita Heitmann, war eine kritische Anwohnerin aus der Bismarckstraße, die mit Ivan Illich, Olaf Dinne‘ und vielen anderen ein gemeinsames „Nachdenken beim Frühstück“ auf dem Rembertiring organisiert hat. Bei diesem und folgenden Treffen wurde Ideen und Perspektiven für den Rembertiring diskutiert.

Als ich 1978 von Berlin nach Bremen zog, war ich ganz begeistert von der hohen Wohnqualität. Ab 1980 wohnte ich in einem alten Bremer Haus in der Bismarckstraße.

Der südliche, tiefe, ruhige Innenhof endete an der Schönhausenstraße. Die nördliche laute Bismarkstraße war durch Doppelfenster abgeschirmt und im Haus nicht zu hören. Zunächst ein schönes Wohnen. Doch je öfter ich vor die Tür ging, desto lärmempfindlicher wurde ich. Gespräche mit Nachbarn waren unmöglich. Die Fahrbahn glich einer „Autobahn“ durch Bremen und war kaum zu überqueren. Immer unerträglicher wurde mir der Widerspruch zwischen so einer schönen Straße und diesem Lärm!!!

Das war wohl der Antrieb im Jahr 1986 zusammen mit Nachbarn ein Straßenfest zu organisieren. Einen Tag lang war die Bismarckstraße im oberen Teil gesperrt. Alle haben es sehr genossen und von weniger Autos geträumt. So sensibilisiert, setzte ich mich nun für ein anderes Bremen ein, das nicht mehr ausschließlich dem Durchgangsverkehr dient.

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Straßenfest in der Bismarckstraße 1986, Quelle: Brita Heitmann

Schon früh habe ich mich für den Rembertikreisel interessiert. Ich fand dieses Relikt einer verfehlten Trassenplanung beeindruckend. 1991 gab es einen Wettbewerb zur baulichen Veränderung dieses Kreisels. Da ich ja wusste, wie zermürbend das Leben an einer verkehrsintensiven Straße ist, lehnte ich fast alle eingegangenen Entwürfe ab. Sie schlugen vor, die Autos direkter durch eine vierspurige Trasse, knieförmig am Kreisel vorbei, zur Hochstraße zu führen. Wer will denn an so einer lauten Straße wohnen?!
Ich war inzwischen schon längst in die ruhige Braunschweiger Straße umgezogen.
So fand ich den radikalen Wettbewerbsbeitrag von Erhard Heimsath und Kristen Müller sehr bemerkenswert. Sie wagten darüber nachzudenken, diesen Durchgangsverkehr durch ein neues Verkehrskonzept erheblich zu reduzieren. Mit einem Rückbau der „autogerechten Stadt“, wollten sie die zerschnittenen Lebensadern des Rembertiviertels wieder beleben.
Zu dieser Zeit nahm der Sozialphilosoph Ivan Illich seine Gastvorlesungen an der Bremer Uni auf. In diesen Vorlesungen ging es zentral um das „Menschliche Maß“ und die Zumutungen der Moderne. Nach den Vorlesungen lud er an den „ Tisch der Gastfreundschaft“ in sein Haus in der Kreftingstraße ein. Hier fanden sich auch die Wettbewerbsteilnehmer Erhard Heimsath und Kristen Müller ein und brachten den Rambertikreisel ins Gespräch. Der Weltbürger Ivan Illich hatte sich schon oft auf die Seite der Widerständler begeben und so ein großes Interesse an diesem sinnlichen Beispiel für erfolgreichen Bürgerprotest. Als ich dann zusammen mit Erhard H. und Kristen M. die Idee hatten, ein gemeinsames Nachdenken an diesem Ort zu veranstalten, war er sofort zur Teilnahme bereit. Wir luden die Nachbarn zu einem Frühstück ein, um gemeinsam über die Zukunft des Platzes nachzudenken. Olaf Dinne´, der maßgeblich diesen Trassenbau mit verhindert hatte, half mir bei der Gestaltung des Flugblattes. Motto: Rastplatz, Restplatz,Rostplatz . . .

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Frühstück auf dem Rembertiring 1991, Quelle: Brita Heitmann
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Frühstück auf dem Rembertiring 1991, Quelle: Brita Heitmann
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Frühstück auf dem Rembertiring 1991, Quelle: Brita Heitmann

Schon im Vorfeld hatten wir die Idee ein „Sindbad“ Cafe´ für Geschichtenerzähler auf dem Kreisel zu eröffnen. Ivan Illich gab dann auch gleich die Parole aus, dass man Zement nur mit Wurzeln sprengen kann und fühlte sich auf diesem Platz, der damals noch wild bewachsen war, in diesem Sinne sehr wohl. Es war ein schönes Frühstück an dem auch Olaf Dinne´ teilnahm. Alle waren sich einig, dass die 40 000 Autos, die täglich den Kreisel umfahren, zu viel sind. Durch die anschaulichen Erzählungen der Teilnehmer, stand uns allen dieses früher so lebendige Rembertiviertel – mit Kirche, vielen Läden und Werkstätten – wieder vor Augen.

Die Möglichkeiten einer Wiederbelebung wurden angedacht, aber auch realistisch die Schwierigkeit einer praktischen Umsetzung gesehen. Da die Geschichte jedoch schon oft gezeigt hat, wie wirkmächtig eine starke, von vielen getragene Utopie sein kann, schlug Ivan Illich zur Unterstützung dieses Projektes, die Gründung einer Rembertiuniversität vor, in die er verschiedene Wissenschaftsfreunde einladen wollte. Alle von ihm vorgeschlagenen hochkarätigen Wissenschaftler hatten schon viel zu diesen Themen gearbeitet und geschrieben wie z.B. Jean Robert (Architekt und Historiker, Schwerpunkt: Transport und Verkehr), Wolfgang Sachs (Mitglied des Club of Rome und Thema: Entschleunigung) und Gustave Esteva (mexikanischer Vordenker der alternativen Ökonomie und Graswurzelaktivist). Mit ihnen allen veranstalteten wir dann tatsächlich in den folgenden Monaten und Jahren kostenlose Seminare in einer visionären „Rembertiuniversität“. Wir diskutierten unter verschiedensten Gesichtspunkten über Bedingungen einer menschenwürdigen Stadt. Diese Seminare fanden in der Kinderschule am Körner Wall statt und hatten praktische Anteile.
So hielten wir das Thema in der Stadt lebendig. Auch der Stadteilbeirat stand damals diesen Ideen sehr positiv gegenüber. Ein gegen viele Widerstände durchgeführtes Seifenkistenrennen auf der Hochstraße sollte z.B. praktisch ein Gefühl dafür geben, wie ein Leben ohne diesen Verkehr sein könnte. Auch die Sperrung des Kreisels und der Hochstraße und Befahrung durch hunderte Fahrradfahrer sehe ich als konkrete Umsetzung aller dieser Ideen. Gerade in den letzten Wochen wird verstärkt der Abriss der Hochstraße – wider Erwarten sogar von der CDU – diskutiert. Es gilt also die Hoffnung nicht aufzugeben!!!

Brita Heitmann / Februar 2016